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Jonas Schmied19. November 20207 min read

Chatbots können in einer Sackgasse enden

Chatbots entwickeln sich zu Virtual Agents, welche in der Kunden- und Mitarbeiterinteraktion immer relevanter werden. Es lohnt sich, frühzeitig ein potentes Technologie-Fundament zu legen, um sich nicht in ausufernde Aufwände und eine unbefriedigende User Experience zu verstricken.

2020 starten Chatbots richtig durch und übernehmen 25 Prozent aller Kundeninteraktionen der Unternehmen - so die Prognose der US-Marktforscher von Gartner aus dem Jahr 2018*. Wie die Realität aussieht, ist nicht Gegenstand dieses Blog Posts, auf jeden Fall steht aber fest, dass aktuell viele Schweizer Unternehmen aktiv Möglichkeiten mit Chatbots ausloten. Dies wird durch die omnipräsente und anhaltende Pandemie zusätzlich befeuert - Kosteneinsparungen bei gleichzeitiger Steigerung der Kundenzufriedenheit sind plötzlich mehr als nur nett.

Die Ausgangslage

Die Grundsätze für erfolgreiche Bot-Projekte sind so bekannt wie auch naheliegend:

  • Fokus auf systematische Vorgänge (bezüglich Fragen und Nutzerprozessen).
  • Zielgruppe und Probleme kennen und Einsatzbereich des Bots definieren.
  • Bot in etablierte Interaktionskanäle einbetten.
  • Mit einem begrenzten Umfang starten und eine agile, iterative Entwicklung verfolgen.

Die Einsatzszenarien konzentrieren sich meist auf das Vermitteln von Informationen als Antworten auf konkrete Fragen. Dabei soll der Bot ähnlich wie ein Suchdienst funktionieren, aber mit dem Mehrwert, dass die Anfrage problembezogen formuliert werden kann und ein hohes Sprachverständnis (hinsichtlich alternativer Formulierungen) vorhanden ist. Bestenfalls wird sogar ein Kontext aus dem bisherigen Konversationsverlauf gebildet und für die Suche genutzt. Und dann werden nicht einfach alle Suchergebnisse angezeigt, sondern der Bot trifft eine Algorithmus-basierte Wahl, oder findet die beste Antwort durch gezieltes Nachfragen von Differenzierungsmerkmalen. Je nach Thema oder Formulierung des Nutzers kann zudem direkt ein Prozess gestartet und im Chatverlauf abgewickelt werden.

Manche finden aber, dass so ein "Suchdienst Plus" zu wenig Nutzen stiftet und haben den Fokus dabei auf Mitarbeitende oder bestehende Kunden. Je nach Unternehmensstruktur und Branche sind die bestehenden Informationen teilweise wenig hilfreich, weil sie zu allgemeingültig oder zu vielfältig sind. Beispielsweise will ein Versicherungskunde nicht unbedingt wissen, was alles an Leistungen angeboten würde, sondern nur ob sein aktueller Schaden mit seiner aktuellen Police gedeckt ist. Oder ein Mitarbeitender interessiert vielleicht nur die Informationen, welche an seinem Arbeitsort und gemäss seiner Funktion überhaupt anwendbar sind. Diese Szenarien sind mit Suchdiensten und traditionellen Informationssystemen eine grosse Herausforderung, scheinen aber prädestiniert für eine Bot Lösung.

Start und Ziel sind somit einigermassen klar und Sie können sich auf den Weg konzentrieren. Eine kurze Recherche fördert eine Vielzahl an einfachen und auch günstigen Standardlösungen zutage, häufig Software as a Service (SaaS) Dienste, bei denen ein Login ausreicht, um eine funktionsfähige Basis zu erhalten. Diese versprechen mehr als genug: einfache Workflow Designer, Sprachverständnis (sogenanntes Natural Language Processing, kurz NLP), Auswertungen und Plug & Play Integrationen. Und so ist schnell ein erster Prototyp (aka MVP) durch einen motivierten Mitarbeitenden oder durch einen Dienstleister realisiert und bereit für die wohlwollende Beurteilung durch das Zielpublikum.

MVP - Go for it!

Idealerweise entpuppt sich das MVP als voller Erfolg und der weitere Ausbau kann in Angriff genommen werden. Sie bauen also Dialoge für zusätzliche Themenfelder, definieren weitere Workflows, tunen das Verständnis für alternative Nutzeraussagen…und es wächst Ihnen zusehends über den Kopf.

Sie möchten vielleicht eine gewisse Personalisierung erreichen, so dass nicht alle Prozesse für alle Nutzer gleich angeboten werden. Oder robuste Eingaben ermöglichen, so dass beispielsweise auf die Frage "Wie heisst du?" nicht nur die naheliegende Antwort "Jonas", sondern auch Antworten wie "Ich heisse Jonas", "Geht dich nichts an" oder gar die Einleitung eines anderen Prozesses mit "Kann ich einen Termin vereinbaren?" verarbeitet werden können. Und nicht zuletzt möchten Sie direkt auf bestehende Knowhow-Quellen zugreifen können und nicht alle Antworten im Bot-Designer manuell hinterlegen. Falls sie schweizweit oder international tätig sind, sollte das Ganze auch noch mehrsprachig funktionieren. Für viele dieser Anforderungen können meist Lösungen gefunden werden, welche aber zu einer Komplexitätssteigerung in der Definitionsumgebung führen.

Assistenten mögen keine Silos

Die Problematik heutiger, meist stark wachsender Systemlandschaften ist, dass diese ihre Daten meist kapseln und sogenannte Silos bilden. Dies gilt insbesondere für SaaS Dienste. Natürlich bietet jede moderne Lösung API's und es gibt auch Konsolidierungsansätze wie der Common Data Service von Microsoft. Aber die Integration muss doch meist spezifisch gemacht werden und ist damit meist eher unzureichend. So besteht die Gefahr, dass mit einem "einfachen" Bot ein weiteres, schlecht integriertes Silo geschaffen wird.

Chatbot_Silo-Solutions

Wie in vorherigem Abschnitt eingeleitet, können mit einem simplifizierten, Wizard-/Designer-basierten Bot Dienst folgende Probleme entstehen:

  • Redundanz in der Datenpflege.
  • Pflege wird unübersichtlich und mit zunehmender Menge tritt eine kaum optimierbare Beeinträchtigung der Antwortqualität ein.
  • Kaum Personalisierung und Nutzer-Authentifikation möglich.
  • Sehr starke Limitationen mit Systemintegrationen.
  • Schöne, aber meist relativ wertlose Analysemöglichkeiten, da auf einem standardisierten Level.
  • Verwertbarkeit der User-Daten für andere Applikationen kaum möglich.

Nicht selten müssen Bot-Projekte abgebrochen werden, weil der Bot keine Nutzerakzeptanz erreicht. In vielen Fällen weil mit dem engen Korsett des Bot Dienstes zwar eine nette Konversation, aber nicht genügend Mehrwert erzielt werden kann. Natürlich kann dies als Learning für eine verbesserte Nachfolgelösung angesehen werden, aber der Preis dafür ist potenziell hoch:

  • Die User Experience leidet bezüglich der Konsistenz. Eine Nachfolgelösung steht von Anfang an in einem kritischen Licht.
  • Die gesammelten Nutzerdaten sind weitgehend verloren.

Ein Virtual Agent ist mehr als ein Softwareprojekt

Erfolgreiche Unternehmen stellen die Nutzererfahrung in den Vordergrund. Jeder Nutzer - egal ob Kunde oder Mitarbeiter - soll möglichst effizient und konsistent bedient werden. Dabei müssen alle Touchpoints - Website, Shop, Kundenportal und ja, insbesondere auch Bot-Lösungen - optimal zusammenspielen.

Chatbot_VirtualAgent

Ein guter Virtual Agent dient nicht nur den Nutzenden, sondern ist:

  • Ein Data Mining Tool: Jede Konversation reichert die digitalen Kundenprofile an und ermöglicht, Bedürfnisse besser zu erfassen.
  • Eine agile Interaktionsplattform: Ihr Werkzeug zur aktiven Gestaltung der digitalen Kundeninteraktion.

Erfolgsfaktoren

Sie mögen sich sagen "Was kümmert mich die technische Umsetzung? Ich definiere die Anforderung und wähle den vertrauenswürdigsten Lieferanten für die Umsetzung…". Diese Denkweise ist risikoreich und es lohnt sich, einen langfristigen Fokus einzunehmen. Dies führt nicht unbedingt zu einem höheren Initialaufwand. Folgende Punkte können die Auswahl unterstützen:

  • Informationen für Nutzerfragen sollten zentral und konsistent gepflegt werden können. Eine redundante Datenpflege in einer Bot-Lösung ist ein Designfehler. Legen sie den Fokus darauf, dass der Bot externes Wissen optimal integrieren und nutzen kann. Bezüglich Fragen-Antworten-Funktionalitäten sollten Sie sich auf Tuning konzentrieren können.
  • Personalisierung und das Führen und Verwenden eines Nutzer-Kontexts ist zunehmend eine unabdingbare Grundlage. Prüfen Sie, wie und in welchem Umfang dies realisiert werden kann, sowie wie diese Nutzer-Kontexte mit anderen nutzerbezogenen Systemen verbunden werden können.
  • Fokussieren Sie auf den Wert für die Nutzenden. Vermutlich sind Smalltalk und ein möglichst "menschlicher" Konversationsverlauf nicht der Grund, wieso Nutzer Zeit mit Ihren Touchpoints verbringen. Können die vorgesehenen Prozesse zufriedenstellend realisiert werden (inklusive notwendiger Integrationen von Umsystemen)? Bestehen sinnvolle Eskalationsmöglichkeiten wie beispielsweise ein Handoff an eine menschliche Supportstelle?
  • Nutzungsanalyse ist der Zaubertrank. Sorgen Sie für eine Lösung, welche wertvolle, vernetze Inhalte liefert und nicht mit oberflächlichen Auswertungen wie beispielsweise Konversationen pro Tag oder Tageszeit-Verteilung blendet. Sorgen Sie dafür, dass der Bot auch gezielt Feedback und Verbesserungsvorschläge liefern kann und sie diese Erfassung steuern können.
  • Behalten Sie die Kontrolle (User-Daten, Integrierbarkeit) und vermeiden Sie einen Vendor Lock-in oder potenziell  untragbare Kostenentwicklungen. Ein erfolgreicher Virtual Agent soll schliesslich ein langjähriger Mitarbeiter in ihrem Team werden.

Das in Zusammenhang mit intelligenten Chatbots häufig propagierte Sprachverständnis (Natural Language Processing, kurz NLP) ist ein wichtiges Element, um ein robustes Konversationsverhalten und die Extraktion von Schlüsselinformationen aus Nutzereingaben zu ermöglichen. Es kann mit dem Motor eines Autos verglichen werden.

Chatbot_Erfolgsfaktoren

Wie bei einem Auto sollte auch dieser Motor nicht zum Selbstzweck dienen, sondern dem Verwendungszweck entsprechend dimensioniert sein. Bots, welche bezüglich ihrem Konversationsverhalten komplett auf einem Machine Learning Modell beruhen (sogenannte Level 4 Bots), erfordern aktuell eine deutlich aufwändigere Herangehensweise für Entwicklung und Wartung, welche nicht für jede Situation angemessen ist.

Microsoft Azure als mögliche Technologie-Plattform

Das Microsoft Bot Framework ist eine ausgereifte Grundlage, um die oben aufgelisteten Erfolgsfaktoren zu erreichen. Die damit erstellten Bots laufen auf Microsoft Azure, der technisch führenden Cloud Plattform, welche bei einer stark wachsenden Anzahl Unternehmen durch die Nutzung der Microsoft 365 Dienste bereits im Einsatz ist. Nebst der optimalen Integrierbarkeit zu diesen Diensten (beispielsweise Microsoft Teams) stehen insbesondere eine Vielzahl von Cognitive Services zur Verfügung: Sprachverständnis, Text-, Bild- & Formularanalyse, Such- und Übersetzungsdienste und viele mehr. Und Microsoft investiert viel in den Ausbau und die stetige Weiterentwicklung dieser Dienste. Speziell spannend ist hierbei das Projekt Turing Natural Language Generation (T-NLG), mit dem Microsoft eine führende Rolle einnimmt - in naher Zukunft verstehen Bots nicht nur die natürliche Sprache, sondern generieren dynamisch natürliche Ausgaben in hoher Qualität.

Die Technologien entwickeln sich schnell weiter und befeuern insbesondere die dynamische Interpretation und Vernetzung von Daten. Diese Strasse wird sozusagen zu einer Überholspur - andere enden vielleicht mit einem Wendeplatz.

 

* Quelle: https://www.gartner.com/en/newsroom/press-releases/2018-02-19-gartner-says-25-percent-of-customer-service-operations-will-use-virtual-customer-assistants-by-2020

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