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Martin Trachsel17. August 20205 min read

Führung im Zeitalter von Remote Work

Viele Führungskräfte haben in den letzten Wochen die Grenzen der digitalen Führung erfahren. Ich beschreibe die meiner Meinung nach grössten Herausforderungen, welchen sich Führungskräfte durch die Verlagerung der Arbeit vom Büro nach Hause stellen müssen.

Die Idee von Remote Work wurde vor rund 50 Jahren im «The Economist» das erste Mal beschrieben. Abgesehen davon, dass seit damals ein paar technologische Hürden genommen worden sind, hat die Diskussion stets angehalten, ob die Arbeit von ausserhalb des Unternehmens gefördert oder doch eher vermieden werden sollte.

Nun hat im 2020 ein kleines, aufsässiges Virus die Wirtschaft dazu gezwungen, Remote Work in der Form von Home Office doch einmal ausgiebig zu testen: Haben gemäss einer Studie der HSG bisher nur etwa 7 Prozent aller Mitarbeitenden regelmässig Remote Work betrieben, waren es zu Hochzeiten des Lockdowns bis zu 70 Prozent, die hauptsächlich von zuhause aus gearbeitet haben. Und in vielen Arbeitssituationen entpuppt sich Remote Work als eine echte Alternative. Es leuchtet ein, dass wir nicht einfach wieder in die alte Normalität zurückgehen wollen. Unternehmen müssen ihren künftigen Arbeitsmodus neu definieren.

Herausforderungen der digitalen Führung

 

Das neue Normal wird zweifellos einen höheren Anteil an Remote Work beinhalten. In welchem Grad, wird stark von der Art der Arbeit und dem Digitalisierungspotenzial abhängen. Eins ist aber eindeutig: die Unternehmensführung muss sich auf die neue Situation einlassen und ihre Führungsinstrumente und gegebenenfalls den Führungsstil anpassen.

Wenn die Kolleginnen und Kollegen im Unternehmen seltener persönlich im Büro anzutreffen sind, muss die Führungsaufgabe verstärkt über digitale Instrumente wahrgenommen werden. Die teilweise Entkoppelung der Arbeit von Ort und Zeit bringt für Führungskräfte neue Herausforderungen mit sich. Viele Führungskräfte haben in den letzten Wochen die Grenzen der digitalen Führung erfahren. Aus meiner persönlichen Erfahrung stelle ich drei Thesen zu den meines Erachtens grössten Herausforderungen auf:

1. Kommunikation wird noch anspruchsvoller

Zentrales Instrument fast jeder Führungsaufgabe ist die Kommunikation. Die Technologie ermöglicht es zum Beispiel, Informationsanlässe mit einem grossen Publikum durchzuführen, gleichzeitig aufzuzeichnen und später zur Verfügung zu stellen. Dadurch wird die Organisation deutlich einfacher und der Overhead kleiner. Teammeetings oder Gespräche im kleinen Rahmen sind ebenfalls effizient und zielführend - solange das Ziel ein sachlicher Informationsaustausch ist. Geht es um die Behandlung komplexer Themen oder sogar Persönliches, dann sind Zoom, Teams & Co. limitiert. Ohne sich persönlich gegenüber zu stehen oder zu sitzen, fehlt die soziale Präsenz und es gehen Informationen verloren. Bei schwierigen Gesprächen ist die non-verbale Kommunikation sehr wichtig, ein Gespräch über einen digitalen Kanal ist immer stark limitiert, Video-Kamera ein hin oder her. Ich persönlich empfinde auch die kreative Teamarbeit als sehr eingeschränkt. Mit digitalen Ideation Tools kann in einer Gruppe nicht die Energie und Dynamik aufgebaut werden, die nötig ist, um neue Ideen zu entwickeln. Es wird nie möglich sein, über ein digitales Kreativtool die Spannung aufzubauen, welche für kreative Prozesse förderlich ist.

2. Vertrauen führt

Eine Kontrolle, wie sie im traditionellen Büroalltag bewusst oder unbewusst wahrgenommen wurde, ist kaum mehr möglich. Damit die Mitarbeitenden das Potenzial von Remote Work ausschöpfen können, benötigen sie neue Freiheiten. Das erfordert von den Führungsleuten in erster Linie ein hohes Mass an Vertrauen. Die mit Abstand wichtigste Führungsaufgabe wird es sein, für Ziele zu sorgen. Ob dies mit Management by Objectives (MBO), Objectives and Key Results (OKR) oder einem anderen Instrument geschieht und ob die Ziele vorgegeben oder miteinander entwickelt werden, ist eher Nebensache. Zentral ist, dass das Team die Absicht und die Ziele versteht und bestmögliche Unterstützung erhält, diese Ziele zu erreichen. Die Kontrollaufgabe des Managements muss sich auf den Fortschritt und die Resultate beschränken, eine Überwachung von Input-Grössen, wie zum Beispiel der Arbeitszeit, ist im neuen Normal sinnlos. Eine langfristige Herausforderung ist die Entwicklung der Unternehmenskultur und der Erhalt einer gesunden Vertrauensbasis. ‘Trust needs touch’ – nach diesem Grundsatz kann durch eine gute digitale Führung das Vertrauensniveau über eine längere Zeit aufrecht erhalten – aber ein Vertrauensaufbau geht wohl über die digitalen Möglichkeiten hinaus.

3. Langfristige Performance ist eine Frage der Kultur

Ein eingespieltes Team mit gut organisierten Prozessen kann ohne Probleme orts- und zeitunabhängig arbeiten. Was aber geschieht, wenn neue Spieler an Bord kommen oder Arbeitsabläufe angepasst werden? Über längere Zeit wird in einem Remote-Work-Modus die Unternehmenskultur erodieren – und Langzeitstudien zeigen, dass die Produktivität folgt. Im Büroalltag hat sich der Teamgeist und die Kultur im Unternehmen nebenbei entwickelt, weil man sich regelmässig persönlich gesehen und informell ausgetauscht hat. Beim virtuellen Bier im Team auf einen gemeinsamen Erfolg anzustossen, löst zwar das potenzielle Problem, wie der Heimweg anschliessend angetreten werden kann, der Spassfaktor ist aber in etwa mit einem Fussballspiel ohne Zuschauer auf den Rängen und ohne Spieler auf dem Feld zu vergleichen. Findet das im neuen Arbeitsmodus nun weniger statt, muss die Führung das Zwischenmenschliche bewusst pflegen und entwickeln. Zusammenarbeit ergibt sich selten von allein, deshalb muss die Führungsperson Gelegenheiten schaffen, bei denen sich Teams an Gemeinsamkeiten identifizieren können, sei es gemeinsame Probleme lösen oder Teamerfolge feiern.

Symbiose aller Vorteile

Wegfallende Arbeitswege, höhere Produktivität, effizientere Meetings und eine flexibilisierte Arbeitszeit sind nur ein paar der Vorteile, die wir in der zu Ende gehenden kollektiven Homeoffice-Phase erfahren durften. Der neue Arbeitsmodus sollte daher ein Mix sein aus Remote Work und Office Work. Diese Symbiose aller Vorteile stelle ich mir so vor: Im Büro treffen sich Menschen für den persönlichen, sozialen Austausch. Sie arbeiten in einem Raum zusammen, sobald die direkte Begegnung einen Mehrwert darstellt – und sonst erledigen sie ihren Job wo und wann es für sie und den Kunden am besten passt. Wenn es gelingt, den Mix so zu gestalten, dass sich Mitarbeitende in jeder Situation auf das jeweils Wesentliche konzentrieren können, gewinnt sowohl der einzelne Arbeitnehmer wie auch das Unternehmen.

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Im Büro sollte man sich ganz seinen Teammitgliedern widmen und sich nicht von virtueller Kommunikation ablenken lassen.

 

Die längerfristigen Auswirkungen eines verstärkten Remote-Work-Modells können nur vermutet werden. Ob die Produktivität langfristig hochgehalten werden kann, ist fraglich. Zumindest bei einem Fully-Remote-Work-Modus sprechen die Studien dagegen. Ich gehe davon aus, dass sich die Kultur eines Unternehmens zwangsläufig verändern wird und sich mit ihr die Produktivität auf einem neuen Niveau einpendeln wird. Ob auf einen höheren, hängt zu einem grossen Teil vom Geschick der Führung ab.

 

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