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Mark Ehrsam08. Juli 20206 min read

Nachhaltigkeit im Onlinehandel

Ist es möglich, ein einzigartiges Einkaufserlebnis zu bieten und trotzdem nachhaltig und gewissenhaft zu agieren? Hier erfahren Sie, warum ökologisches Wirtschaften immer wichtiger wird und wie konkrete Strategien dazu aussehen.

Heute reicht es nicht mehr aus, ein paar nachhaltige Produkte in Sortiment zu haben und irgendein selbsterfundenes Label auf der Webseite zu platzieren. Die Käufer wollen wissen, woher die Produkte stammen und unter welchen Bedingungen diese hergestellt wurden. Die Glaubwürdigkeit eines Herstellenden oder Händlers wird immer wie mehr unter die Lupe genommen. Ein bisschen Nachhaltigkeit zu machen, geht somit nicht mehr. Man muss wirklich dahinterstehen, denn sonst wird der Schwindel (auch genannt Green Washing) von den Kunden schnell aufgedeckt. Denn die wichtigste Währung im Onlinehandel ist das Vertrauen!

Hersteller versus Händler

Doch was kann man als Händler Nachhaltiges unternehmen? In den meisten Fällen sind ja die Produkte, respektive das Sortiment entscheidend und da wäre der Hersteller mit seinen Sublieferanten in der Pflicht. Mit EcoVadis gibt es sicher ein weltweit vertrauenswürdiges Nachhaltigkeitsrating für Unternehmen, welches verschiedenste Einsichten in ein Unternehmen geben kann. So zum Beispiel haben viele Hersteller bereits heute klare Vorgaben an die Lieferanten, welche zwingend eingehalten werden müssen.

Doch was ist denn genau nachhaltig? Ist es das Unternehmen, die Kultur, der Umgang mit den Mitarbeitern, ist es der Rohstoff (zum Beispiel Eco-Baumwolle) oder sind es die Anstellungsbedingungen in den Produktionsländern? Dies sind nicht zu unterschätzende Faktoren, welche aber ein Händler teilweise gar nicht beeinflussen kann. So wird die Marke X plötzlich auf dem Markt als nachhaltiger empfunden als die Marke Y. Was passiert nun, wenn aber mein Sortiment mit der Marke Y aufgebaut wurde? Ich als Händler muss dann entscheiden, für welche Grundwerte ich einstehe und muss gegebenenfalls den Produzenten respektive das Sortiment anpassen (sofern das den Anforderungen meiner Zielgruppe entspricht). Schliesslich will ich ja einen Handel betreiben und nicht vor lauter Nachhaltigkeit insolvent werden.

Nachhaltigkeit betrifft die ganze Wertschöpfungskette

Doch auch Händler mit bestehenden Sortimenten können nachhaltig sein oder nachhaltig werden. Bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette können überall nachhaltige Aspekte berücksichtigt werden. So zum Beispiel bei der Auswahl der Zahlungsarten (Rechnung nur noch via Mail), bei der Logistik, der Verpackung (RePack oder wiederverwendbare Kartons), der Zustellung (regional beispielsweise mit E-Bikes) oder bei der Handhabung von Retouren. Klar kann man von Anfang an nicht alles umstellen, aber irgendwo muss man anfangen. Der Kunde wird es verstehen, sofern eine offene und ehrlich Kommunikation stattfindet. Und wer weiss, vielleicht können sogar «neue» Zielgruppen angesprochen werden, so zum Beispiel der umweltbewusste E-Shopper.

Der umweltbewusste E-Shopper

Ja genau, der umweltbewusste E-Shopper ist eine weitere Definition der Digital Natives. Haben Sie in der Customer Journey diese «neue» Zielgruppe bereits berücksichtigt? Heute geht gemäss Studien und verschiedenen Gesprächen mit der Zielgruppe der Trend von billigen Chinaprodukten zurück zu nationalen oder gar lokalen Anbietern. Sicher hat auch die Corona-Krise dazu beigetragen und das Bewusstsein des Onlineshoppings nachhaltig beeinflusst. Oder ist das nur eine Annahme?

Mal ganz ehrlich – jeder, der das liest, hat sicher schon einmal online bestellt. Was ist Ihre Motivation beim Onlineshopping? Convenience ist sicher weit vorne, aber haben Sie sich nicht auch vorgenommen, etwas «nachhaltiger» zu shoppen? Ist es beim Vorsatz geblieben oder konnten Sie sich selbst überzeugen? Sind Sie wirklich so treu oder geht doch ein Schnäppchen vor? Vor allem in der heutigen Zeit, wo der Black Friday bereits als Spring- oder Sommeredition eingeführt wird? Ist also der CO2- Fussabdruck nur ein Vorwand oder ein Marketinggag?

Schliesslich haben wir uns durch Amazon, Zalando und Co. an den hohen Servicegrad, die schnellen und kostenlosen Lieferungen sowie an die personalisierte Kommunikation gewöhnt. Omni-Channel-Lösungen und Lieferungen innerhalb 24 Stunden sollten ja mittlerweile Standard sein. Ist nicht genau das ein Wiederspruch zu einem nachhaltigen Onlinehandel?

Klar muss vorher die Denkweise der Zielgruppe bestimmt sein. Doch gibt es nicht nur Unterschiede bei den Geschlechtern sondern auch innerhalb der Altersklassen. So verhält sich ein Digital Native wesentlich anders als ein Silver Surfer und ist entsprechend auf den unterschiedlichsten Verkaufskanälen mit zielgruppengerechtem Content und Services unterwegs. Und jetzt kommt noch der umweltbewusste Shopper dazu – wird das nicht ein bisschen kompliziert? Nein, denn eine klare Identifikation der Zielgruppe und dem Bestimmen von Personas ist in der heutigen Zeit sowieso ein «Muss». Wie sonst kann ich meinen Kunden finden, ansprechen, verstehen, kennen, begeistern und binden?

Nachhaltigkeit auch bei den Produktdaten

Ich persönlich nehme mir auf jeden Fall vor, nachhaltig zu shoppen. Doch es wird mir oft auch schwer gemacht. Das fängt schon bei den Produktdaten an – welche Grösse passt nun oder was genau bekomme ich hier? Es fehlen wichtige Angaben oder Anwendungsbeispiele, so dass ich mir ein genaues Bild machen kann. Was passiert also? Ich kaufe Produkte zur Auswahl und weiss schon im Voraus, dass ich diese retournieren werde. Nachhaltig? Nein! Zudem kann je nach Angebot meine Bestellung sogar zwei bis drei Pakete auslösen, falls ich als Händler ein ergänzendes Onlinesortiment anbiete (zum Beispiel Lieferung direkt ab Hersteller). Nachhaltig? Nein! Und wie sieht es mit den Retouren aus? Wegwerfen? Nein! Da gibt es mittlerweile tolle Alternativen. Zum Beispiel im eigenen Onlineshop als «Green Sales» exklusiv für die Newsletterabonnenten anbieten oder auf einem Marktplatz als B-Ware verkaufen, mit ReCommerce Firmen dealen oder bei Food Angeboten mit «too good to go» zusammenarbeiten.

Auf die Differenzierung kommt es an

Kann sich ein Schweizer KMU gegenüber den grossen ausländischen Anbietern überhaupt durchsetzen? Ja klar! Obwohl Schweizer Produkte in der Herstellung sicher etwas teurer sind und weitere 100 gefühlte Nachteile haben, kann mit einer klaren Positionierung gepunktet werden. Und wie soll das gehen? Mit Expertentum! Wem glaubt ihr mehr? Einem chinesischen Marktplatz, der alles verkauft oder einem spezialisierten Anbieter aus der Region? Bietet als Differenzierung euren Kunden Mehrwerte, beispielsweise bei der Produktfindung, bei der Kommunikation, bei der Kundenbetreuung, mit verblüffenden Services und vor allem mit nachhaltigen Ideen und Fakten!

Nachhaltigkeit versus Profitabilität

Doch sehr schnell stellt sich jeder Onlinehändler die Frage, ob sich Nachhaltigkeit überhaupt lohnen kann. Wie kann ich also als Anbieter im Onlinehandel einen Mehrwert schaffen und gleichzeitig meine Margen schützen? Wie schon erwähnt reicht ein klimaneutraler Versand oder ein Kostenanteil für das gute Gewissen für die Umwelt nicht mehr aus.

Was aus meiner Sicht nicht gut funktioniert, ist eine Kombination aus den wichtigsten Artikeln mit hoher Verfügbarkeit und marktgerechten Preisen und einem zusätzlichen Teilsortiment aus nachhaltiger Produktion (welche eventuell teurer ist). Denn hier kommt man bei der Betrachtung der Wertschöpfungskette schnell zu weiteren Fragen. Wie sieht es dann mit der Lagerung, dem Transport, der Verpackung und der Zustellung des Teilsortiments aus? Auch macht es wenig Sinn, Luxusartikel in einem Recyclingkarton via einem Velozusteller oder Bio-Artikel in aufwändigen Verpackungen Same-Day auszuliefern.

Customer Experience Platform

Ein möglicher Ansatz wäre, einen Multistore-Ansatz zu wählen, mit getrennten Verkaufskanälen aber einem zentralen Backend. Bei einer agilen Systemlandschaft müssten daher lediglich die Verkaufskanäle angepasst werden. Das ERP, CRM, PIM oder die Fachapplikationen können lediglich mit dem Teilsortiment erweitertet werden. Fehlt hier eine Gesamtübersicht, kann eine Customer Experience Plattform sicher unterstützen. So erreichen Sie eine höhere Konversionsrate wie auch eine Steigerung der Kundenbindung, was sich letztlich im Umsatzwachstum auszahlt. Dies spart Kosten, da neue Services schneller integriert und angeboten werden können und die Produktivität der Mitarbeitenden erhöht wird.

Ich denke, dass jetzt die Zeit gekommen ist, um nachhaltigen Online-Handel zu betreiben!

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