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Jonas Schmied17. September 20204 min read

Aus Kundendienst wird Kundenbegeisterung

Die Behandlung von individuellen Kundenanliegen ist bei Dienstleistungsfirmen häufig zeitraubend und mühsam. Dies schafft Potential für Mitbewerber, welche die Customer Experience fokussieren und gezielt verbessern. Und das ist in vielen Fällen gar nicht so schwierig.

Ein Beispiel *

Bernadette verträgt keine Kontaktlinsen. Eine Laseroperation bietet sich an, ist aber auch recht teuer. Bernadette fragt sich, ob sie dabei von ihrer Krankenkasse unterstützt würde und sucht auf deren Website nach Informationen. Die Leistungen sind bei der Vielzahl an Zusatzversicherungen und Optionen verschieden - Bernadette findet keine Details zu der Deckung ihrer Versicherung gemäss ihren Unterlagen. Seit sie vor über fünf Jahren ihren Vertrag abgeschlossen hat, wurden die Leistungspakete wohl ein paar Mal umbenannt und neu geschnürt.

Nun gut, Bernadette ruft an. Und - wie man das bestens kennt - hat sie das zweifelhafte Vergnügen, sich bei verschieden Personen vorstellen zu dürfen und ihr Anliegen zu erklären. Letztendlich gibt es keine Antwort, jedoch das Versprechen, dass ihr Anliegen intern geklärt wird und sie freudig auf einen Rückruf warten darf. Am nächsten Tag kommt dieser Anruf, aber leider zu einem ungünstigen Zeitpunkt. Bernadette befindet sich mitten in einem Meeting und kann den Anruf deshalb nicht entgegen nehmen. Die Beraterin schreibt freundlicherweise eine E-Mail mit ihren direkten Kontaktangaben, womit dann nach mehreren Versuchen die beiden Damen direkt konversieren können. Den weiteren Verlauf kürzen wir ab: Nach einer Kontrolluntersuchung bei einem Optiker konnte bei der nachträglichen spezifischen Prüfung mit wiederum diversen Interaktionen keine Kostenbeteiligung gesprochen werden.

Bernadette hegt keinen Groll, die Kontaktpersonen waren durchaus engagiert und zuvorkommend. Aber auf beiden Seiten ist Frust über die verschwendeten Aufwände und das mühsame Prozedere. Und seitens der Dienstleistungsfirma nagt (hoffentlich) das Wissen, dass beim nächsten ähnlichen Fall wieder die gleiche Verschwendung passiert.

Das Problem

Kundendienst ist grundsätzlich schwierig zu planen und die insgesamt geliebten Kunden sind teilweise einfach schwer erziehbar.

Dilemma_Kundendienst

Viele sind versucht, vorschnell einzelne Probleme mit technischen Mitteln zu lösen. Ein Kundenportal, ein hyperintelligenter Chatbot, eine Support-Community, eine agilere Mitarbeiterplanung und ähnliches. Diese Ansätze mögen durchaus sinnvoll sein, aber es lohnt sich, jeweils zuerst die Problematik besser zu verstehen. Dabei ist es essentiell, die Situation aus Sicht des Kunden zu betrachten.

Als bekennender Lean Fan erstelle ich gerne vereinfachte Value Stream Maps für solche Themen. Damit wird Customer Experience greifbar gemacht - Einfachheit und Effizienz gemessen an der Durchlaufzeit sind unbestreitbar wesentliche Faktoren für eine positive Wahrnehmung. Das einleitende Beispiel kann eine Visualisierung wie folgt ergeben:

Sample_ValueStreamMap_Anfang

Die Effizienz kann mit dem Aktivitätsverhältnis (Activity Ratio) der geschätzten Prozesszeit (Process Time) geteilt durch die Durchlaufzeit (Total Lead Time) als KPI quantifiziert werden. Dies ergibt in unserem Beispiel einen Wert von 2.7 Prozent - sicher eher ein guter Start als ein gutes Ziel.

Moderne Lösungsansätze

Es geht hier nicht darum, den Kundendienst komplett zu digitalisieren und abzubauen. Sondern die Kundenprozesse gezielt digital zu unterstützen. Es gibt Themen und Bedürfnisse, die nach einer persönlichen Absprache verlangen, und je direkter und kompetenter dies ermöglicht werden kann, desto zufriedener ist der Kunde.

Mit der Value Stream Map fokussieren wir primär die Reduktion von Wartezeiten, das heisst Zeiten, in denen der Kunde aktiv auf weitere Schritte wartet. Legen wir also los mit einem konkreten Ansatz. Dies dient jedoch nur dazu, ein Customer Experience Engineering schematisch aufzuzeigen und ist damit nur ein Beispiel, keine allgemein gültige Lösung.

Kunde und Supportmitarbeitende sollen auf geplante Art und Weise ein Telefonat führen können und dieses soll möglichst direkt zum Ziel führen. Das Problem des Kunden ist also bereits vor dem Telefonat dem Supportmitarbeitenden bekannt und wurde bereits von diesem analysiert. Hierfür führen wir in einem ersten Schritt eine Terminbuchung für Telefonate ein. Als sehr einfache Lösung eignet sich dafür Microsoft Bookings, welches in den meist verwendeten Microsoft 365 Lizenzen bereits enthalten ist und damit keine zusätzlichen Kosten verursacht.

Sample_Booking

Wir sind damit noch nicht zufrieden. Termine sollen nur bei konkretem Beratungsbedarf und nicht für einfach beantwortbare Fragen gebucht werden. Für kundenspezifische Fragestellungen, wie im vorliegenden Fall die Frage nach einer Deckung mit der individuell abgeschlossenen Versicherung, eignet sich eine gute Chatbot Lösung (solche vernetzte und damit intelligente Lösungen bezeichnen wir gerne als Virtual Agents). Dieser identifiziert und authentifiziert je nach Frage den Nutzer und liefert dann personalisierte Antworten. Je nach Gesprächsverlauf bietet er dann eine Terminbuchung an - gekoppelt an den im ersten Schritt mit wenig Aufwand konfigurierten Dienst Microsoft Bookings.

Sample_Assistant

Diese Lösung integrieren wir auf der Website - beispielsweise direkt in der Suchfunktion - und machen sie damit Kunden wie Bernadette einfach zugänglich. Auf diesem Stand können wir nun die Value Stream Map aktualisieren:

Sample_ValueStreamMap_Ende

Die offensichtliche Vereinfachung spiegelt sich auch in unserem Effizienz-KPI wider - mit diesen relativ einfach realisierbaren Schritten erreichen wir einen neuen Wert von 57 Prozent. Das soll keine exakte Wissenschaft sein, nur ein Hilfsmittel um sich die richtigen Überlegungen zu machen.

Bernadette trägt die Kosten nach wie vor selbst. Aber der Frust ist weg. Und bei der Dienstleistungsfirma ergibt sich ein klarer Effizienzgewinn durch die Vorbereitung der Kundeninformationen, sowie durch die Lastglättung eine bessere Planbarkeit im Kundendienst. Da die gesamte Kundenanfrage digital geleitet wurde, kann diese Aufzeichnung im Kundenportal zugänglich gemacht werden und generell für die kontinuierliche Optimierung und Personalisierung direkt weiterverwendet werden.

Und wer jetzt noch zu den digitalen Leadern gehören will, der baut vielleicht die Bot-Funktionalität für eine Terminorganisation noch in den Prozess des initialen Anrufes bei der Hotline ein. Aber vielleicht auch ganz bewusst nicht, denn ein digitaler Leader zeichnet sich gerade dadurch aus, dass er die Bedürfnisse seiner Kunden aufzeichnet und analysiert. Und das digitale Fundament dafür hat, solche Lösungen schnell und agil umzusetzen.

 

* Dieses Beispiel ist wahr und hat sich kürzlich so zugetragen. Bei einer aktuell noch beliebten und führenden Krankenkasse.

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